WAZ-Bericht zur P2-Bebauung vom 6.1.2021

Theo Körner und Frank Stenglein

An der Rüttenscheider Brücke sollen die Wohn- und Geschäftshäuser der Hopf-Gruppe entstehen.

An der Rüttenscheider Brücke sollen die Wohn- und Geschäftshäuser der Hopf-Gruppe entstehen.

Foto: Michael Gohl / Funke Foto Services

Essen-Rüttenscheid.  Die Grünen haben die Pläne zu Wohn- und Geschäftshäusern auf dem Messe-Parkplatz oft kritisiert. Nun steht das Vorhaben im Koalitionsvertrag.

Seit den ersten Plänen für eine Bebauung des Messe-Parkplatzes P2 an der Rüttenscheider Brücke ist das Projekt ein Zankapfel, politisch wie gesellschaftlich. Die Grünen taten sich von Anfang schwer mit dem Vorhaben. Einige lehnen es bis heute ab, andere standen zumindest bislang den Wohn- und Geschäftshäusern sehr kritisch gegenüber. Sie wollten den Investor, die Hopf-Gruppe, in seine Schranken weisen, forderten einen erheblichen Anteil an Sozialwohnungen und verlangten zudem, vor allem auch die klimatischen Folgen zu untersuchen.

Und ohne Fassadengrün gebe es ohnehin kein Okay. Ein Masterplan müsse her, meinte vor über einem Jahr Grünen-Ratsherr Rolf Fliß, bevor irgendein Stein auf den anderen gesetzt werde. So viel zur Historie. Nun haben die Grünen mit der CDU einen Kooperationsvertrag ausgehandelt. In dem Papier wird nur ein Bauvorhaben konkret genannt, das umgesetzt werden soll, nämlich P2.

Grünen-Ratsherr sieht Aussage zu P2 als Kompromisslösung

„Wir wollen in einem offenen Planungsprozess mit allen Beteiligten und unter Berücksichtigung der Interessen der Messe eine attraktive Bebauung am Messeparkplatz P2 in Rüttenscheid realisieren. Hierzu wird ein B-Planverfahren nach § 8 BauGB angestrebt“, heißt es wörtlich. Wie immer in solchen Verhandlungen habe man Kompromisse schließen müssen, sagt dazu Rolf Fliß. Der neu gewählte ehrenamtliche Bürgermeister der Stadt Essen verweist darauf, dass man über das Schriftliche hinaus auch mündliche Vereinbarungen getroffen habe, um die eigenen, also grüne, Belange festzuklopfen.

Unter anderem habe man sich darauf verständigt, dass in unmittelbarer Nähe von zu fällenden Bäumen neue ihren Platz finden sollen. Ebenso dürfe die Gruga-Fahrradtrasse, die über das Gelände führt, nicht schmaler als fünf Meter ausfallen. Ganz entscheidend sei schließlich, dass das Genehmigungsverfahren nach Paragraph 8 Baugesetzbuch durchgezogen werde.

Damit verlangen die Grünen, wie es ihr planungspolitischer Sprecher, Christoph Kerscht, erläutert, ein ordentliches Bauleitverfahren. Nun gab es aber schon eine vorgezogene Bürgerbeteiligung mit zwei Foren und einem Workshop. Im kommenden Frühjahr soll der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan erfolgen, der eine erneute Beteiligung von Bürgern ebenso vorsieht wie die der sogenannten Träger öffentlicher Belange, also Organisationen und Einrichtungen. Sie alle haben ebenfalls die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern, bevor schließlich ein Bebauungsplan verabschiedet wird. Was fehlt da also noch an dem, was Grüne und CDU mit Verweis auf den Paragraph 8 meinen?

Grüne verlangen jetzt noch eine Umweltprüfung

Die noch zu schließende Lücke bestehe, so Kerscht, in einer Umweltprüfung. Es liege zwar ein Klimagutachten vor, dass die Stadt in Auftrag gegeben habe, doch eine umfassende Betrachtung, welche Auswirkungen das Bauprojekt auf das Umfeld haben werde, fehle bislang, sei aber im Zuge des Genehmigungsverfahrens zwingend notwendig. Zugleich verdeutlicht der Sprecher aber auch, dass sich das gesamte Prozedere dadurch kaum verzögern werde. Auf solche Themen spezialisierte Büros seien in der Lage, die Prüfung innerhalb von vier oder sechs Wochen durchzuziehen. Im Übrigen hält Kerscht Größe und Form der Wohn- und Geschäftshäuser noch längst nicht für ausgemacht. Es sei „noch alles offen“.

Innerhalb der Grünen ist die Vereinbarung zu P2 nicht unumstritten. Bei der Mitgliederversammlung habe es dazu durchaus kritische und auch ablehnende Stimmen gegeben, räumen Fliß und Kerscht ein. Da allerdings 83 Prozent dem Koalitionspapier zugestimmt hätten, stehe die gesamte Vereinbarung mitsamt des Rüttenscheider Projekts auf einer breiten Basis. Essens Grünen-Chef, der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring, reagierte bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags auf eine kritische Journalistenfrage empfindlich. Es sei „ein Popanz“, wenn behauptet würde, die Grünen hätten an der Rüttenscheider Brücke eine Kröte schlucken müssen.

Die Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Rüttenscheid, Julia Klewin, sieht das anders. Die Haltung der Grünen sei ein „Positionswechsel“, den sie deutlich kritisiert. In Koalitionen müsse man bekanntermaßen dicke Kröten schlucken, diese Wende überrasche sie allerdings schon. „Es gab kein Thema im Kommunalwahlkampf, auf das wir so oft angesprochen wurden und das so viel diskutiert wurde“. Die SPD habe im Wahlkampf eine Bebauung auf dem Messeparkplatz P2 nicht gänzlich abgelehnt, sondern stets auf die Probleme hingewiesen, die durch das Projekt eher verschärft würden. In Rüttenscheid mangele es an Kita- und Grundschulplätzen, bezahlbaren Wohnungen und öffentlichen Plätzen.

Die Messe muss sicherstellen, dass sie den größten Teil von P2 weiterhin nutzen kann

Estelle Fritz von der Initiative „Rettet Rüttenscheid“ erkennt in dem Satz aus der Vereinbarung zu P2 einen Widerspruch. Man wolle, so heiße es dort, einen offenen Planungsprozess führen. Wenn aber offen im eigentlichen Wortsinn gemeint sei, dann müsse auch die Möglichkeit bestehen, das Bauprojekt abzulehnen. Doch das Ziel würden die beiden politischen Partner klar vorgeben, nämlich eine attraktive Bebauung, die realisiert werden solle. Irritierend wirke ferner, dass von allen Beteiligten die Rede sei, die einbezogen werden sollen, aber dann explizit die Berücksichtigung der Interessen der Messe Essen erwähnt werden. Inwieweit auch Wünsche, Ideen und Forderungen von Bürgern zur Geltung kommen sollten, gehe aus dem Passus nicht eindeutig hervor.

Verwundern kann dies allerdings in Wahrheit nicht, denn die Messe hat auf dem Gelände sehr alte Rechte, die sie verständlicherweise nicht aufgeben will und auch nicht aufgeben kann. Mehrfach hat Messechef Oliver P. Kuhrt die Bedeutung des früheren Güterbahnhofs für die Messelogistik beschrieben. Dabei geht es nicht nur um Parkplätze für die Besucher der Großmessen, sondern auch um die Lkws der Messe-Bauer und Messe-Kunden, die hier warten, um minutengenau ins mittlerweile dicht bebaute Messegelände geordert werden, sobald ihr Slot aufgerufen wird.

Ohne P2, so Kuhrt, ist die Messe faktisch nicht lebensfähig. Dies ist auch mit dem Investor des Bauvorhabens, der Hopf-Gruppe, im Vorfeld der offenen Grundstücksfragen so vereinbart worden. Ein Großteil des Geländes bleibt somit weiterhin Stellplatz und ist im übrigen Eigentum der Messe. Eigentümer haben es an sich, dass ihre Interessen gegenüber anderen vorgehen.

Interessengemeinschaft Rüttenscheid wirbt darum, auf Gestaltung Einfluss zu nehmen

Klaus Wermker vom Bürgerforum Rüttenscheid, das die Bürgerforen und den Workshop mitorganisiert hat, betrachtet die Aussage zu P2 in der Koalitions-Vereinbarung zutreffend als „sehr allgemein gehalten“. Die elementaren Fragen, etwa zur Höhe der Gebäude, zur Zukunft der Rampe als Verbindung zwischen Wittekindstraße und Grugatrasse oder den klimatischen Folgen blieben ausgeklammert, was allerdings auch nicht Gegenstand eines solchen Vertrags sein kann.

Nach Ansicht von Rolf Krane, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Rüttenscheid, ist es wenig sinnvoll, weiter Grundsatzfragen zu diskutieren. Der Investor habe nun mal das Recht dort zu bauen, da es sich um sein Grundstück handelt und eine Bebauung bereits jetzt möglich wäre. Tatsächlich ist der Graben der ehemaligen Güterbahn rechtlich eine Baulücke an der Rüttenscheider Straße, die wohl auch ohne aufwendigen Bebauungsplan geschlossen werden dürfte. Durch einen Bebauungsplan und mehr noch mit einem städtebaulichen Vertrag könne man auf die Gestaltung aber besser Einfluss nehmen, gibt Krane zu bedenken. Und darauf komme es jetzt an.

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